Ein unbekannter Mensch

Was sollen wir sagen, das Leben ist wie im Film.

Bevor er starb, hatte er Geld für die Flugtickets aller Kinder, Schwiegertöchter und Schwiegersöhne und Enkelkinder beiseite gelegt und jemandem in der Familie anvertraut, damit sie alle zu seiner Beerdigung fliegen können. Als er gestorben war, wurden die Flugtickets für alle mit diesem Geld gekauft, und er wurde auf diese Weise mit seinem eigenen Geld beerdigt. Er hatte immer genug Geld in seiner Brieftasche, das war ihm wichtig, sie war immer gefüllt. Er war sehr sparsam, manche von uns sagen „geizig“. Und gleichzeitig war er großzügig. Als wollte er nie mehr Mangel spüren. Als er sich von seiner Frau verabschiedete, um nach Deutschland zu gehen, sagte er: „Ich gehe und wenn ich 100.000 Lira verdient habe, komme ich zurück.“ Er ist erst zu seiner eigenen Beerdigung endgültig zurückgekehrt.

Als er noch lebte, waren wir alle zusammen, wir haben uns besucht, zusammen gefeiert, zusammen gelebt. Heute lebt jeder von uns sein eigenes Leben. Er war uns wichtig, vielleicht war er der wichtigste von allen, aber wir konnten ihm nicht nahekommen. Er wollte uns nicht umarmen. Wir sagten: „Es reicht, wir wollen dich jetzt umarmen.“ Aber er wollte nicht. Als Kind hatte er keine Liebe kennengelernt. Es gab keine Mutter und schon gar keinen Vater. Der Vater existierte ja gar nicht. Die Mutter war weg. Er sah sie vielleicht einmal im Jahr. Er hat so selten seine Gefühle gezeigt, dass wir uns genau an die wenigen Momente erinnern, in denen er es tat. Einmal war in unserem Zimmer eine große Spinne, wir hatten Angst und weinten. Da durften wir in seinem Bett übernachten, er hat uns umarmt und wir sind in seinen Armen eingeschlafen. Kurz vor seinem Tod lag er auf dem Sofa und sagte plötzlich: „Ich danke euch. Ich war glücklich mit euch!“ Wir sagten erstaunt, dass wir überrascht seien. Er sagte: „Ich auch.“ Wir lachten und sagten: „Gott segne dich.“

Wir haben ihn nie in Jeans gesehen. Die gab es zwar, aber er trug immer Stoffhosen. Er war immer ordentlich und elegant gekleidet. Er liebte es, sich gut anzuziehen. Er liebte Krawatten und Anzüge. Er liebte es, auf sich Acht zu geben. Er liebte auch seine nicht vorhandenen Haare sehr. Er liebte wirklich seine nicht vorhandenen Haare. Es gibt sogar ein Foto davon.

Sein Haar war auf einer Seite länger. Er wusch seine Haare, kämmte sie auf die andere Seite und sprühte sie ein. Den ganzen Tag über hat er sie immer wieder eingesprüht. Er kämmte sein schütteres Haar und zog die einzelnen Haare auseinander, damit es nach mehr aussah. Die Haare auf der anderen Seite muss er jeden Tag geschnitten haben, im Badezimmer waren jedenfalls immer diese kleinen Haare. Er hat sehr auf sich geachtet. Er war ein sehr gepflegter Mann.

Nachts trug er eine Art Turban oder Kopftuch aus einem gelben Stoff. Wir können nicht genau sagen, ob er das tat, um nicht zu frieren, oder ob er nicht wollte, dass wir seine kahlen Stellen sehen. Wahrscheinlich war er besorgt, dass seine Haare sich sonst verlegen würden. Um keinen Preis wollte er, dass man seine Glatze sah.

Er war sehr empfindlich in dieser Hinsicht. Wir haben ihn nie mit Stoppeln gesehen. Er war immer tadellos rasiert.

Er war sehr vorsichtig mit seiner Kleidung. Nachdem er gestorben war, zählten wir fast 20 Anzüge in der Türkei und hier. Er ging immer im Anzug aus, ins Café, ins Konzert, ins Kino. Er saß auch zu Hause im Anzug.

Er liebte Kleider und alte Dinge, insbesondere alte Möbel. Wir haben uns oft über seine Knausrigkeit beschwert. Aber es war nicht einfach Sparsamkeit, denn er kaufte auch teure Dinge. Er sammelte die Sachen auf Märkten und in Antiquitätenläden und brachte sie nach Hause. Die Dinge hatten immer eine Seele.

Er mochte dunkle Farben. Das konnte man an den Sachen sehen, die er von den Antiquitätenhändlern gekauft hatte. Sie waren immer sehr dunkel. Grüne, braune Töne, Schwarz... Dunkelblau... Sie waren immer so dunkel. Auf allen Fotos sieht man den grünen Sessel, die grünen Stühle, den alten braunen Holztisch. Im Sommer hatte er vielleicht manchmal ein Hemd mit einem Muster an ... aber er trug hellere Farben ziemlich selten.

Wenn es nach ihm ging, ging es ihm immer gut. Wir haben immer gefragt: Wie geht es dir? Und er hat gesagt: Mir geht es gut. Wir haben nie gehört, dass es ihm schlecht ging.

Er war sechs Monate alt, als sein Vater starb. Seine Mutter war mit 15 verheiratet worden und nun als Teenager schon Witwe. Sie hatte mehrere Schwestern und eine dieser Schwestern war zur gleichen Zeit verstorben. Die Familie verheiratete seine Mutter an den Verlobten ihrer verstorbenen Schwester. Den Säugling aber wollte die Familie behalten, denn er war ein männlicher Nachkomme. Seine Mutter weinte und schrie: „Ich gehe nicht ohne mein Kind!“, aber sie musste ihn verlassen, seine Tante ging mit ihm an diesem Tag extra in ein anderes Dorf, damit er es nicht mitbekommen sollte. Seine Mutter lebte nun ein paar Dörfer weiter, aber sie durfte ihn nicht sehen. Einmal am Tag wurde er an einen Platz in der Mitte zwischen den Dörfern gebracht, damit sie ihn stillen konnte, dann wurde er ihr wieder weggenommen.

Kurz bevor er starb, sagte er uns, hier habe er sich seine Lungenkrankheit geholt. Er habe oft im Schuppen schlafen müssen, auf dem kalten Betonboden. Nicht der Krebs, sondern dies sei schuld an seinem Leiden. Manchmal, wenn er uns von dieser Zeit erzählt hat, fluchte er: „Jetzt habe ich Geld, aber sie lieben mich nur, weil ich Geld habe. Früher hatte ich nicht einmal Schuhe an den Füßen. Sie hatten zwei Paare, aber sie gaben mir keines. Ich musste oft draußen bleiben und sie behandelten mich wie Dreck.” Er ist geschlagen worden, von den Tanten und deren Kindern, es gab kaum zu essen, es war eine trostlose Kindheit.

Als er gestorben war, haben wir Quittungen gefunden, er hat sie alle aufbewahrt, seit 1949. Seit er angefangen hatte zu arbeiten, hat er seinen Tanten Geld geschickt, bis sie gestorben sind. Es waren viele Quittungen.

Eines Tages, als er sechs Jahre alt war, konnte er wieder zu seiner Mutter, denn der Mann seiner Mutter war ein guter Mensch. Er kam mit einem Pferd ins Dorf geritten und nahm ihn mit. Wir hören noch seine Stimme, wie er davon erzählt: „Was soll ich sagen, wir waren glücklich. Ich habe meine Mutter sofort erkannt, ich habe sie umarmt und wir haben geweint.“

Das Leben ist eine Altbauwohnung in Berlin mit hohen Wänden, grünen Stühlen, einer sechseckigen grünen Uhr und einem sorgfältig gedeckten Frühstückstisch. Alles war immer sehr geordnet. Er bestand darauf, denn er hatte feste Arbeitszeiten. Das Frühstück wurde nie ausgelassen, auch wenn er zur Frühschicht ging. Morgens wurde zuhause immer der Tee zubereitet und der Frühstückstisch wurde gedeckt. Seit wann das so war? Immer. Das war immer so gewesen, solche Bilder haben keinen Anfang.

Denken wir an ihn, lassen wir uns zu einer These hinreißen: Es gibt einzelne Menschen, zu denen Alkohol gut passt. Er war so jemand. Er wartete nur darauf, trinken und fröhlich sein zu können. Wenn er etwas getrunken hatte, wurde er so fröhlich, hatte so viel Spaß und spielte mit uns. Sein Haus war ein offenes Haus. Wir haben uns einfach so getroffen, sind gekommen und gegangen. Ohne Anlass, ohne Grund, einfach um zusammen sein zu können. Er hatte zwei Kassetten. Metin Türk. Zühtü, immer wenn wir es hören, denken wir an ihn. Er konnte gut tanzen. Er stellte sich auf den Tisch und wippte mit dem Fuß. Sein Hobby war es, sich am Wochenende mit der Familie zu treffen und in einer der Wohnungen gemeinsam zusammenzusitzen, das war's.

Er liebte Tierdokus und Filme, an den Wochenenden ging er ins Kino. Kommen die Musiker eines Konzerts aus der Türkei? Dann haben wir uns schön angezogen und sind hin. Türkan Soray, Ibrahim Tatlıses, Nuri Sesi Güzel. Er liebte Unterhaltung. Er hat uns eine Kassette von Nuri Selçuk Güzel gekauft. Hakkı Bulut.

Es hat ihm nicht gefallen, wenn seine Frau gebetet hat. Er mochte es nicht, wenn sie ihren Kopf bedeckte. Er hat uns dazu angestiftet, ihr während des Gebets das Tuch vom Kopf zu ziehen. Er hat uns 5 Mark dafür versprochen. Fünf Mark sind eine Menge … Wir haben es gemacht, und er hatte wirklich viel Spaß daran. Er hat einfach gelacht.

Die dreieckigen “Öhrchen”-Manti hat er sich ab und an gewünscht. Ansonsten hatte er keine besonderen Vorlieben. Drei Wochen bevor er starb, sagte er am Telefon: “Bereitet ein Barbecue vor, ich komme vorbei.” Wir sagten: "OK, Baba, komm, wir haben es vorbereitet." An diesem Abend saß er ganz stolz und zufrieden auf dem Balkon neben dem Grill. Er hat fast nichts gegessen. Es ging nicht ums Essen. Vermutlich wollte er einfach mit uns zusammen sein und hat nach einem originellen Grund gesucht. Er hat sich immer Ausreden einfallen lassen, um zu uns zu kommen.

Er wollte oft mit uns gemeinsam alte Videos anschauen: Familienfeiern, Hochzeiten, Urlaube, so was. Er sagte: "Ruft alle zusammen und macht eine Kassette an.” Sie haben damals alle solche Videos gesammelt.

Als er 13-14 Jahre alt war, wurde seine Kindheit für beendet erklärt. Er arbeitete als Schafhirte im Dorf. Das Dorf lag in Mittelanatolien, zweieinhalb Autostunden östlich von Ankara. Das Wort Autostunden gab es damals nicht, als er mit 16-17 Jahren nach Ankara ging. Heute sagt man das so: „wir gehen nach Ankara oder nach New York oder nach Deutschland“. Aber er ging wirklich zu Fuß, vielleicht hat ihn ein Lastwagen ein paar Kilometer mitgenommen. Wir lange war er unterwegs? Vielleicht einen Tag? Wir wissen es nicht. In der Großstadt arbeitete er als Gepäckträger am Busbahnhof von Ankara. Geld für den Bus nach Hause hatte er nicht. Er trug das Gepäck der Reisenden auf dem Rücken. Eine Unterkunft konnte er nicht bezahlen. Er schlief unter Brücken auf einer ausgebreiteten Zeitung.

Er wurde an ein Mädchen aus der Nachbarschaft verheiratet. Sie kannten sich nicht. Sie war 15 und er vielleicht 16 oder 17? Ihre Eltern zögerten: „Sie ist noch ein Kind und er? Er ist ein Kind des Elends, eine Waise!“ Er schuftete, um das Geld für die Hochzeit zu sparen. Bald darauf musste er zum Militär. Zwei Jahre wartete seine Frau auf ihn. Aber auch danach sahen sie sich kaum, denn er musste nach der Armee wieder in Ankara auf dem Busbahnhof arbeiten, um Geld zu verdienen.

Mitte der Sechzigerjahre gab es „Deutschlandlisten“. Hier konnte man sich eintragen, wenn man in Deutschland arbeiten wollte. Er trug sich ein. In den Papieren stand, dass man zu einer Art Aufnahmeprüfung nach Istanbul kommen sollte. Zweimal fuhr er nach Istanbul, und erzählte, sie hätten sich seinen Hintern und „alles andere“ angesehen und dass alles in Ordnung sei. Also haben wir ihn weggeschickt nach Deutschland. Gott, es hat wehgetan. Seine Frau ließ er zurück, sie war 22 damals und seine zwei Kinder, sie waren 6 und 2 Jahre alt. Kurz vor seinem Tod wollte er tatsächlich noch einmal in die Türkei. Aber da konnten wir es ihm nicht mehr erlauben, er hätte die Reise nicht geschafft.

Das Asbest sieht aus wie Zement. Solange es gebunden ist, ist es nicht gefährlich. Aber es zerfällt mit der Zeit und pulverisiert. Man muss es mit einem Mikroskop um das Zweihunderttausendfache vergrößern. Es ist so eine Art Staub, der eingeatmet wird. Die Partikel haben kleine Kanten, wie Widerhaken. Wenn wir normalen Staub einatmen, wird er durch Husten wieder ausgestoßen. Aber Asbeststaub hakt sich fest, bleibt drinnen. Wenn es in die Membran des Zwerchfells gelangt ist, kann der Körper es nicht durch Husten oder den Druck des Zwerchfells ausstoßen. Dann bleibt es dort. Es ist ein winziger Staub, der für das Auge unsichtbar ist, aber er bleibt dort wie ein Splitter. Je nachdem, wie widerstandsfähig der Körper ist, bleibt er dort 10, 20 oder 25 Jahre. Es beginnt mit der Membran. Danach verursacht es Unfähigkeit zu atmen und es sammelt sich Wasser im Körper. Das Asbest hat seine Bronchien am Ende aufgeblasen. Die Partikel sehen wie eine Harpune aus. Und der Körper kann es nicht mehr loswerden. Die Bronchien verkleben von dem Staub. Je stärker du bist, desto länger lebst du. Aber sobald du geschwächt bist, stirbst du daran. Er kam allein, lebte allein und starb allein.

Zwischen 1950 und 1987 wurden 4,4 Millionen Tonnen Asbest in Deutschland verbaut. 1993 wurde die Herstellung und Verarbeitung von Asbest in Deutschland verboten.

Er kam nach Deutschland und sollte nie zurückkehren. Er wurde Gastarbeiter genannt. Das Wort enthält ein Versprechen: dass man zurückkehren kann, wenn die Arbeit vorbei ist. Aber diese Generation wurde darum betrogen. Sie haben hart gearbeitet, aber nur wenige von ihnen konnten das, was sie erarbeitet haben, im Ruhestand genießen. Die meisten sind gekommen, um irgendwann reich zurückzukehren, aber sie sind gestorben, bevor sie sechzig oder fünfundsechzig Jahre alt waren. Von seinen Kollegen lebt kaum einer mehr. Sie sind alle gestorben. Aber darüber gibt es keine Statistik. Natürlich nicht. Sie sind diejenigen, die am meisten gelitten haben. Aber es erinnert nichts an ihre Arbeit.

Als er nach Deutschland kam, hat er sofort bei Eternit in Rudow angefangen zu arbeiten. Er mietete einen baufälligen Dachboden für 80 Mark, damals hat niemand Wohnungen an Migranten vermietet. Wir wissen fast nichts über seine Arbeit. Alle, die etwas erzählen könnten, sind vor ihm gestorben, seine Kollegen, seine Freunde. Eternit war ein Wirtschaftswunder. Das deutsche Eigenheim mit Eternitschindeln, Eternitdächern, Eternitblumenkübeln vor dem Haus. Ein Werkstoff für das Wunder des Wohlstands: Billig, leicht zu verarbeiten, widerstandfähig. Und das beste: unbrennbar.

Er arbeitete in zwei Schichten. Aus Asbestzement haben sie Platten gemacht. Diese Mischung kam auf dem Band an und er schnitt sie. Er benutzte seine Hände und seinen Stock, er trennte die fertigen Platten. Sie waren zwar angehalten, Masken bei der Arbeit zu tragen, aber er hat nie eine getragen. Niemand hat damals eine Maske getragen. Es wurde nicht kontrolliert. Am Ende haben sie die Fabrik geschlossen und ihm eine Arbeitsunfähigkeitsrente gezahlt.

Er holte seine Frau nach Deutschland. Sie ließ die Kinder in der Türkei zurück. Sie arbeitete als Reinigungskraft in einem Büro. Jeden Morgen brachte er sie mit dem Bus dorthin. Erst Ende der Siebzigerjahre konnten seine Kinder nach Berlin kommen. In all der Zeit hat er sie nur im Urlaub gesehen.

Er hat uns alle Schlafen geschickt, bevor er starb.

Wir blieben an seinem letzten Tag bei ihm. Seine Füße wurden kalt. Es kamen und gingen viele Leute. Wir haben ihn gewaschen und eingecremt. Er streckte die Füße aus, zog sie zurück. Wir sagten: "Baba, sollen wir dir eine Fußmassage geben?" "Nein", sagte er zuerst. Nach einer Sekunde hat er es sich aber anders überlegt... Er sagte: "Na gut, dann eben doch.” Er streckte seine Füße aus. Sie waren kalt. Der Arzt sagte, dass wir an diesem Tag bis 21 oder 22 Uhr dort sein sollten. Der Arzt sagte mir, dass der Tod schon begonnen hätte.

Aber wir sind nicht geblieben.

Wir waren sehr traurig, er hat nichts zu uns gesagt. Wir haben auch nichts gesagt. Wir konnten es nicht ertragen. Er sah uns an, als wollte er sagen: Rettet mich.

Er war kurzatmig und sagte, dass ihm glühend heiß sei. Er war kurzatmig und er hat stark geschwitzt, als wir gegangen sind. “Ich brenne innerlich.” Er sagte, wir sollten gehen und morgen früh wiederkommen. Er schickte uns alle weg. Wir sagten: "Baba, wir gehen jetzt, aber wir kommen morgen früh wieder,okay?” Er sagte: "Kommt um sieben Uhr.” Er winkte uns zu. Er winkte uns zum Abschied. Es war zehn Uhr, als wir zu Hause ankamen. Als er starb, lagen wir alle im Bett und schliefen fest. Alle haben geschlafen. Auch seine Frau lag im Krankenhaus und schlief. Er ist gestorben, während er in ihr Gesicht geschaut hat. Als sie aufgewacht ist, hat sie uns erzählt, habe er sie angeschaut. Er wachte auf. Ein paar Minuten vor seinem Tod, wachte er noch einmal auf. Er sagte: "Lass mich von deiner berühmten Joghurtsuppe trinken.” Er hat die Suppe getrunken und ist eingeschlafen, es sind keine 10 Minuten vergangen.

Das Telefon klingelte schrill. Wir haben abgenommen und ein Stöhnen in der Ferne gehört.

Er starb allein, es war niemand da. Er war immer allein. Er kam nach Deutschland, als er 27 oder 28 war. Er kam und arbeitete. Er ist nirgendwo hingegangen. Er besuchte nur seine Freunde und Nachbarn.

Er hat uns eine Liste mit Namen und Zahlen hinterlassen: Menschen, denen er Geld gegeben hat, Kredite, denen er geholfen hat, Gründe, warum er es noch nicht zurückbekommen hat. Es war eine Menge. Das meiste hat er nie zurückbekommen. Er gab uns die Liste und sagte lächelnd: Schau, so viel habe ich. Er war niemandem etwas schuldig.

Er hatte nie ein Auto oder ein Motorrad. Er hatte nicht mal ein Fahrrad. Er hatte keinen Führerschein. Er sagte: „Wenn schon, dann spare ich solange, bis ich mir einen Helikopter kaufen kann.“

Er war ein guter Mensch. Gute Menschen sterben leider viel zu schnell. Du arbeitest, du arbeitest. Du bist im Ruhestand. Du denkst, jetzt hast du es bequem, jetzt kannst du dich ausruhen. Dann kommt eine Krankheit. Er hat nicht lange gelebt. Er hat das Geld gespart für später. Am Ende sagte er zu uns: "Komm schon, bringt mir das Geld. Nehmt es. Kein Geld kann meine Gesundheit zurückbringen.“

Foto: Jonas Grundner-Culemann