Ersan Mondtag

Monument eines unbekannten Menschen

Multimediainstallation – Erde, Stahl, Holz, Stoff, Möbel, Gebrauchsgegenstände, Video

An Image of by the German Pavillon of the 2024 Venice Art Biennale

Foto: Andrea Rossetti

An Image of by the German Pavillon of the 2024 Venice Art Biennale

Foto: Andrea Rossetti

An Image of by the German Pavillon of the 2024 Venice Art Biennale

Foto: Andrea Rossetti

An Image of by the German Pavillon of the 2024 Venice Art Biennale

Foto: Thomas Aurin

An Image of by the German Pavillon of the 2024 Venice Art Biennale

Foto: Thomas Aurin

An Image of by the German Pavillon of the 2024 Venice Art Biennale

Foto: Thomas Aurin

An Image of by the German Pavillon of the 2024 Venice Art Biennale

Foto: Thomas Aurin

An Image of by the German Pavillon of the 2024 Venice Art Biennale

Foto: Thomas Aurin

An Image of by the German Pavillon of the 2024 Venice Art Biennale

Foto: Thomas Aurin

1/9

Der faschistischen, auf Ewigkeit ausgerichteten Architektur des Pavillons setzt Ersan Mondtag ein „Monument“ entgegen, in dessen gedanklichem Zentrum die Frage nach dem kollektiven Gedächtnis steht. Was nehmen wir mit, was lassen wir zurück?

In einer tropfenförmigen Architektur mit drei begehbaren Ebenen versammelt Mondtag die Fragmente eines Lebens: Arbeitswelt, Wohnraum und öffentlicher Raum. In dieser Welt bewegen sich Figuren als Zitate eines vergangenen, nicht eindeutig zu rekonstruierenden Alltags. Es ist eine Suche im Staub nicht geschriebener Geschichte, deren Ausgangspunkt. die Biografie von Mondtags Großvater Hasan Aygün ist.

Aus einer armen, dörflich geprägten Region östlich von Ankara stammend, ging Aygün Mitte der 1960er-Jahre nach Westberlin und arbeitete über 30 Jahre in der Firma Eternit, die aus Asbest Baumaterialien fertigte. Der Aufbruch in eine Zukunft im 3000 Kilometer entfernten Berlin war für ihn die einzige Chance, einem Leben in bitterer Armut und ohne Perspektive zu entkommen. Sie wurde für ihn aber auch zur tödlichen Falle. 1993 wurde die Verarbeitung von Asbest in Deutschland endgültig verboten. Aygün starb kurz nach seiner Pensionierung an einer schweren Lungenerkrankung, die eindeutig auf das Einatmen der toxischen Fasern zurückzuführen war. Im Eingangsbereich des Monuments finden sich in einer Art Verkaufsraum neben Eternit-Blumenkübeln (einem der Verkaufsschlager der Firma und Symbol für das Wirtschaftswunder, das sich mit Gegenständen wie diesem verband) Dinge und Dokumente aus dem Nachlass von Hasan Aygün.

Von hier aus öffnet sich das Leben als begehbare Architektur, in der sich die Performer:innen und Besucher:innen frei bewegen. Dabei mischen sich realistische Details mit erfundenen Elementen und den Erzählungen anderer Biografien. Es entsteht ein Erinnerungsraum, der nicht museal, sondern konkret belebt ist. Die Erde als umkämpfter Ort territorialer Konflikte wird in Mondtags Entwurf selbst zur Migrantin.

Bereits vor dem Aufbau hat Montag Erde aus dem Geburtsort von Hasan Aygün in den von Maria Eichhorn 2022 geöffneten Hohlraum in das Fundament des Pavillons eingebracht eine Geste des Empowerments gegen die Reinheitsideologie der faschistischen Architektur.

Schon im Außenbereich versperrt Erde den Zugang zur Zentralperspektive, sie taucht als Element in der symbolischen Ausgrabungsstätte immer wieder auf. Mondtag mischt hier Erde aus Anatolien mit Abraum aus den Giardini. Demgegenüber steht das Parkett, das den Boden im Innenraum bedeckt. Es stammt aus einem verlassenen Kulturhaus im brandenburgischen Kirchmöser und steht für die Arbeiter-Gesellschaft der DDR. Hier – wie in der gesamten Arbeit – wird eine Brücke zwischen den Gastarbeiter:innen im Westen und den Arbeiter:innen in Ostdeutschland geschlagen. Für beide Gruppen gilt: Im westdeutsch geprägten historischen Diskurs kommen ihre Schicksale, wenn überhaupt, nur als „das andere Leben“ vor.

Indem Montag Motive ostdeutscher und migrantischer Arbeiter-Biografien ins Zentrum des Pavillons rückt, stellt er radikal die Frage nach Repräsentation und Erzählung auf der Schwelle zu einer Industriefolgelandschaft.

Der Titel der Arbeit rekurriert auf das Gedicht „Anleitung für die Oberen“ von Bertolt Brecht, in dem er die Praxis, „den unbekannten Soldaten“ zu ehren mit der Forderung konfrontiert, dass im Zeitalter der Industriearbeit auch dem „unbekannten Arbeiter / Aus den großen Städten der bevölkerten Kontinente / Endlich eine Ehrung bereitet“ werden müsse, dessen Spur sich in der Anonymität der Städte verliert. Einhundert Jahre nach Brechts Gedicht ist Mondtags Arbeit eine szenische Archäologie der Verheißungen dieses technischen Zeitalters und ihrer Konsequenzen. Es ist aber auch das Festhalten einer Erinnerung: an ein Leben auf der Schwelle zwischen Aufbrechen und Ankommen, ein Leben, das uns unbekannt bleibt. Die letzte Etage des Monuments gibt den Blick frei in Richtung der Gärten und in Richtung Lagune Welten, die gleichzeitig präsent und unerreichbar sind.

Team

Komposition, Soundinstallation, Dirigent: Beni Brachtel
Kostüm: Josa Marx
Künstlerischer Assistent: Lorenz Stöger
Performer:innen: Frank Büttner, Marina Galic, Jonas Grundner-Culemann, Eva-Maria Keller, Tina Keserović sowie Arianna Addonizio, Alexandra Brett, Lucia Codolo, Asya Donadel, Marcangelo Gagliardi, Adriano Lurissevich, Michaela Mochiutti, Cristiano Moioli, Renato Nuvolazzi, Christiano Parolin
Organisation Performances: Theresa Maria Schlichtherle
Kamera/Schnitt: Felice Kaufmann



Herstellung der Kostüme in Kooperation mit dem Berliner Ensemble
Schneider:innen: Frank Haselhorst, Carlotta Kämmer, Andreas Kluke, Judith Nikolova, Julica Petersen
Herrengewandmeisterin: Uta Rosi
Damengewandmeisterin: Anja Sonnen
Kostümbearbeitung: Svenja Niehaus
Kostümdirektorin: Elina Schnizler



Video Living Room
Regie/Schnitt: Beni Brachtel
Kamera: Gabriel Wolf
Saz und Gesang: Haci Aygün
Orchester: Münchner Symphoniker
Tonmeister Orchestereinspielung: Georg Obermayer
Aufnahmeleitung Studio Beni Brachtel: Daniel Door
Aufnahme Chor: Emanuele Wiltsch / Cosmogram

Recommended Path Empfohlener WegYael BartanaLight To The NationsGeneration ShipYael BartanaFarewellYael BartanaThe Generation Ship Topography Yael BartanaDoreet LeVitte Harten, InterviewYael BartanaLife in the Generation ShipErsan MondtagMonument eines unbekanntenMenschen, ArchitekturErsan MondtagMonument eines unbekanntenMenschen, Erdhaufen Ersan MondtagMonument eines unbekanntenMenschen, Boden

Deutscher
Pavillon

La
Certosa